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13. September 2022

Utopie schlägt Verzicht

Lesezeit ca. 3 Minuten

Ein Schritt zurück, um zwei Schritte vorwärtszukommen.

Es gibt gute Gründe, auch mal ‘langsam’ zu machen. Oder sogar heute zu verzichten, um morgen um so mehr zu haben. Erinnern Sie sich an das berühmte Marshmallow-Experiment?

Um was es geht

Immer mehr Politiker scheinen zu glauben, dass man nun die Menschen in Verzicht üben müsste. In langen und mit rational nachvollziehbaren Argumenten bestückten Brandreden versucht man an die Vernunft der Gesellschaft zu appellieren. Klimakrise (weniger reisen), Ukrainekrieg (weniger Gas nutzen), Inflation (weniger konsumieren), und weitere Krisen soll so jeder von uns mit bekämpfen können. Mit Verzicht kann jeder sein Scherflein dazu beitragen.

Doch leider hat die Natur beim Menschen (sowie bei jedem anderen Lebewesen), die Fähigkeit zu verzichten scheinbar als weniger nützlich erkannt. Im Gegenteil, das Bedürfnis auf Expansion, auf immer mehr, hat sich als vorteilhafter herausgestellt und ist uns somit - per Evolution - eingepflanzt. Das merkt man bereits im Kleinen: Gibt man uns nur eine Zahl als ‘Feedback’, sogar ohne, genau zu erstehen, wie diese Zahl zustande kommt, überlegen wir schon, wie wir diese Zahl erhöhen können. Höher, schneller, weiter, liegt uns im evolutionären Blut.

Natürlich ist es nicht ohne Grund, dass wir eher expansionsgetrieben sind. Mehr bedeutete bereits seit unserem bestehen meist auch eine größere Wahrscheinlichkeit zu überleben. Mehr Ressourcen, mehr Freunde, mehr Wissen, mehr Kraft, mehr Übersicht, mehr Tauschmittel, mehr Gefolgschaft, mehr, mehr, mehr. Egal was wir machen, fast alles gilt nur dem einen Bedürfnis später besser dazustehen, als jetzt. Wieder ‘mehr’.

Und genau deshalb ist der Ruf nach Verzicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn hier wird Verzicht als Ziel dargestellt. Wenn aber das Ziel ‘mehr’ bereits in uns einprogrammiert ist, dann ist das ein verlorener Kampf.

Warum das wichtig ist

Was aber, wenn Verzicht als Mittel zum Zweck gesehen wird, um am Ende besser dazustehen? Die ‘Story’ also eher ‘ein Schritt zurück und zwei Schritte vorwärts’ wäre? Dann wäre ein Verzicht möglicherweise wieder kongruent mit unserer evolutionären Programmierung der ‘Expansion’.

  • Ein, wenn auch extremes, Beispiel hierfür sind die Asketen. Wenn nicht diese Gruppe an Menschen, wer dann, steht so für die Idee des Verzichts? Aber machen sie es um des Verzichts willen? Nicht wirklich. Denn durch diese Lebensart erhofft man sich das Erreichen eines höherwertig geltenden Ziels. Manchmal mit religiösen oder philosophischen Motiven. Also steht auch hier wieder die Expansion als Ziel.
  • Oder klassisches Unternehmertum. Der dazugehörige Verzicht auf Sicherheit, vielleicht sogar Freizeit und finanzielle Mittel zu Beginn, wird als Mittel zum Zweck in Kauf genommen, um dafür später ein anderes Ziel zu erreichen. Auch hier die Expansion. Später besser dastehen, als jetzt.
  • Das bereits oben angesprochen Marshmellow-Experiment steht stellvertretend für so viele Situationen, in denen wir unseren Kindern ähnliches vermitteln wollen. „Jetzt nicht x, dafür später y.“ Auch hier ist Verzicht wieder Mittel zum Zweck.

Unterm Strich

Verzicht ist ein regelmäßiger Bestandteil unseres Lebens. Aber es ist nie das endgültige Ziel. Im Gegenteil. Geht es der Politik also um die Mitwirkung der Gesellschaft, in dem sie Verzicht an etwas übt, dann funktioniert das nur, wenn es als Mittel zum Zweck für etwas ‘größeres’ kommuniziert wird. Die Story war schon immer, ist es auch heute noch und wird es wohl noch sehr lange sein: Expansion. Selbst wenn diese als utopisch angesehen wird, übt sie doch eine große Faszination aus. Denn sie verkörpert ideal den Wunsch nach ‘mehr, als jetzt’.

Also liebe Politiker: eine Aktivität des Verzichts im Hier & Jetzt, nur noch mit dem Ziel einer ‘Expansion’ in der Zukunft kommunizieren. Dann klappt das auch mit unserer Gesellschaft.


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Roman Rackwitz

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