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1. November 2022

Ein Tag für die Toten

Lesezeit ca. 5 Minuten

Trauer in und um Unternehmen

Es ist der 01.11.2022. Und ich werde heute auf einen Friedhof gehen. Vielleicht eine Kerze anzünden. Und einen Waldspaziergang machen. Es ist Allerheiligen oder auch der Tag nach Halloween oder der Tag nach Samhain oder auch der zweite nach dem Ende der Sommerzeit und kurz vor Allerseelen oder auch der Tag vor dem Día de los Muertos.

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Es gibt offenbar mehrere Feiertage für dieses Themenspektrum. Ebenso um Tod, Ahnen, Trauer und Übergang. Wir sehen es auch in den Süßigkeiten-Regalen, im Fernsehprogramm, in Kirchen und der Natur. Kommt der Tod in Unternehmen eigentlich auch vor?

Um was es geht

Ich rede gelegentlich von Customer-Lifetime-Value, Employee-Lifetime-Circle und auch dem Produkt-Lebenszyklus. Es scheint irgendwie zum Leben dazuzugehören, dass es auch irgendwann endet. Ein Kunde hört auf Kunde zu sein, ein Mitarbeiter verlässt das Unternehmen, ein Produkt ist obsolet, ein Projekt endet und auch eine Firma geht pleite. Und ja: manchmal stirbt auch ein:e Kolleg:in. Oder ein naher Verwandter derselbigen.

Verlust, Tod und Trauer gehören zum Leben dazu. Und ebenso ein guter Umgang damit.

Viele von Ihnen kennen sicher die Trauerphasen nach Elisabeth Kübler-Ross: Sie beschreibt fünf Phasen im Sterben:

  • Das Leugnen und nicht wahrhaben wollen. Es kann ja nicht sein, dass niemand das Produkt will und urplötzlich wandert eine Top-Performerin ab?
  • Es folgt Wut: der Angriff und die Anklage, “weil das so natürlich nicht geht”, die Aggression gegen Konkurrenz oder Ärger über das eigene schlechte Projektmanagement.
  • Im dritten Schritt folgt das Verhandelnvielleicht lässt sich ja noch eine Gehaltserhöhung aufschwatzen oder eine Uhr als neues Feature in den CD-Player bauen?
  • Die Erschöpfung, Depression, Leid und Schmerz folgen dann erst wirklich. Es ist vorbei: das Büro leer, der Laden wird zugeschlossen – man steht vor dem Nichts. Schmerz, Verzweiflung, sie kennen das.
  • Dann kommt die Akzeptanz. Das Anerkennen, was die Tatsachen sind. Das Leid ist durchlebt. Tränen geflossen. Und man bekommt einen neuen Blick auf das, was hinter einem liegt: Was war denn wirklich gut, worauf kann man mit Freude und Dankbarkeit zurückblicken? Wer war denn schon vor uns da und hat hier etwas zurückgelassen, auf das man bauen kann? Und was lehrt uns die Vergangenheit? Welche Erfahrung und Kämpfe wurden für uns geschlagen? Und wie machen wir jetzt weiter?

Diese Phasen sind leider wissenschaftlich nicht bestätigt. Weder finden alle immer statt, noch in dieser Reihenfolge (Siehe z.B. hier im ScientificAmerican). Sie geben zwar einen intuitiven und popkulturell verankerten Blick auf Trauer: Die Arten wie sich Trauer letztlich zeigt und selbst durchlebt wird, ist individuell doch unterschiedlich.

Derzeit aktuell ist das duale Prozessmodell von Stroebe und Schutt. Es geht einerseits von verlustorientierten Prozessen aus – also dem Verarbeiten, dass etwas fehlt und verloren gegangen ist – und andererseits wiederherstellungsorientierten Prozessen – infolgedessen solchen, die nach neuer Identität, Kompetenzen und Vorgehensweisen suchen. Leugnen und Vermeiden sind in diesem Modell sinnvolle Arten das Wiederherstellen zu unterstützen – und sozusagen Pausen vom Verlust mit Fokus auf die Wiederherstellung zu nehmen.

Es geht einerseits darum zu verarbeiten, was nicht mehr ist. Andererseits darum etwas neues, lebensfähiges zu gestalten. Ein anstrengender Prozess.

Der Prozess der Trauer zeigt sich in entsprechenden Reaktionen. (Körperliche) Zeichen für Trauer können so neben Herzrasen, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Erschöpfung und emotionaler Achterbahn auch Depression, Suizidalität, (Phantom-)Schmerz und Trauma sein. Ein paar Einblicke in Körpersignale für Trauer hat hier die SZ.

Trauerbegleitung ist entsprechend ein wichtiger Prozess. Und es gibt entsprechend viele kulturellen und persönlichen Normen: eine Beileidskarte, der Besuch der Beerdigung, Kerzen und Räucherstäbchen anzünden, Wehklagen, an Allerseelen Süßes verteilen und Gräber pflegen. Neben diesen tradierten Formen hat der Bundesverband Trauerbegleitung eine Handreichung und neue Standards in der Begleitung gesetzt. Diese finden sich in lesenswerten 32 Seiten für Interessierte an der fachlichen Weiterentwicklung. Elementare Punkte für mich:

  • Trauer ist normal.
  • Sie zeigt sich unterschiedlich und sollte so akzeptiert werden.
  • Sie ist Teil eines Heilungsprozesses, der im Regelfall keine außergewöhnliche Hilfe von außen braucht.
  • Gemeinschaft, Teilen und Verortung sind wichtige Teile des Prozesses.

Ein Trend der zu diesen Erkenntnissen gehört: auch Friedhöfe entwickeln sich derzeit als Trauerstätten mehr in Richtung Begegnungs- und Erholungsorte (zum Beispiel mit Friedwäldern, Gartenanlagen und ähnlichem). Filme nehmen das Thema mit mehr Leichtigkeit auf. Zum Beispiel Coco

oder Oben

Warum das wichtig ist

Trauerprozesse finden bei Verlust statt. Neben den tiefgreifenden eines lieben Menschen auch bei solchen Dingen wie Jobverlust, Insolvenz oder Einstellung eines Geschäftsbereichs. Die Trauerreaktionen sind da nicht nur ein Gesundheitsrisiko für die Mitarbeitenden (und damit Fall für die Fürsorgepflicht von Unternehmen) sondern eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit.

Dinge die ein CBO beachtet:

  • Akzeptanz: Trauer ist eine natürliche, gesunde Reaktion auf Verluste. Statt sie zu leugnen und toxisch-positiv zu spielen, sollten wir Menschen ermutigen Trauer zuzulassen und zu durchleben. Egal ob es ein misslunger Verkaufsabschluss, ein abgelehntes Projekt oder ein schlechtes Jahr ist: nehmen sie die Trauerreaktionen als solche wahr und geben Sie ihnen Raum. Sowohl dem Verlustgefühl als auch der Regeneration.
  • Transparenz: ist ein wichtiger Faktor um als Gemeinschaft – sei es als kondolierende Kollegen oder betroffenes Unternehmen– agieren zu können. Ist eine Einzelperson betroffen gilt es dabei ihre Wünsche zu berücksichtigen: ob man zum Beispiel die Trauer aus dem Unternehmen heraushalten will oder gerade diese Unterstützung wünscht. Ist ein Mitarbeiter gestorben ist Transparenz und Raum für Trauer unbedingt sinnvoll. Das Unternehmen sollte nicht nur Betroffenheit bekunden sondern auch aktiv Raum schaffen, in dem Mitarbeitende ihre Trauer verarbeiten können. Dr. Mechthild Herberhold hat hier einige Überlegungen dazu.
  • Rituale: sind die Form, die wir erfinden, um der Trauer und den Austausch dazu Raum zu geben. Neben einem Rahmen in Raum und Zeit, braucht es Intention und Symbole, die sich auch ganz nach der Kultur, der Gruppe und den betroffenen Individuen gestalten lassen. Hier finden Sie eine kleine Sammlung zur Ritualgestaltung. Beispiele in Organisationen dafür sind die FuckUp Nights, bei denen statt Erfolgsgeschichten Geschichten des Scheiterns geteilt werden. Ein anderes Ritual ist die Supervision in der auch Trauer und Verlustthemen eingebracht werden können.
  • Anpassung: ist ein wesentlicher Teil des Trauerprozesses: nicht nur das Wahrnehmen, dass etwas weg ist, auch das Gestalten eines Lebens nach dem Verlust steht an. Wie müssen Arbeitsprozesse angepasst werden, dass es nicht mehr zu Verlusten kommt? Nicht nur die Arbeitssicherheit zur Unfallvermeidung, auch wirksamere Verkaufsgespräche und Marktbeobachtungen stehen hier an. Im Todesfall fehlt die Arbeitskraft und der Beitrag des Mitarbeiters. Manches davon lässt sich im Team stemmen, manches braucht ein neues Mitglied für die Organisation und manches wird niemals ersetzbar sein.

Unterm Strich

Es ist der 01.11.2022. Und ich werde heute auf einen Friedhof gehen. Vielleicht eine Kerze anzünden. Und einen Waldspaziergang machen. Ich denke an gestorbene Großeltern, die tote Tochter einer Kollegin, ein verzweifeltes Team nach der Insolvenzerklärung und wie dankbar wir sein können, dass sich zum Tod die Trauer gesellt. Damit wir zurück ins Leben finden.


Chief Behavioral Officer gesucht

Welche großen und kleinen Verluste gibt es in Ihrer Organisation? Welche gab es und man spürt sie noch immer? Darf Trauer sein und hat sie ihren Platz? Haben Sie Normen, Rituale oder Ideen wie man mit der Trauer umgehen kann? Wie können sie sowohl das Akzeptieren eines Verlust als auch die Regeneration und das danach fördern?

hello world!
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Amadeus Pachmann

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