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21. Februar 2023

Machen oder sein lassen?

Lesezeit ca. 6 Minuten

Guten Morgen. Starten wir gemeinsam an diesem Dienstag in die wunderbare Welt des menschlichen Verhaltens.

Unterlassungsbias

Umzugswagen, Büttenreden, Stammtischfreunde: vor mir wird angeprangert, dass sich nichts tut. Oder zu viel tut. Weiter wie bisher, bloß keine Experimente. Oder eben anpacken, mehr wagen! Stop and Go. Das Bremsen zieht sich als Motto hindurch: bei der Energiewende, im Verkehr, sogar beim Krieg in der Ukraine. Die einen sagen mehr, die anderen weniger. Da ist nichts tun die sicherste Option.

Aber: Ist das so? Heißt nichts tun, keine Risiken eingehen? Oder spielt da noch etwas anderes mit hinein?

Um was es geht

Der Unterlassungseffekt (oder auch Omission Bias) bezeichnet das Phänomen, dass wir nichts zu tun als weniger riskant oder verwerflich ansehen als zu handeln. Entsprechend tendieren wir bei der Entscheidung aktiv zu werden erstmal dazu passiv zu bleiben.

Ein ganz prominentes Beispiel ist die Organspende. Überlegen Sie selbst: Wie bewerten Sie folgende Optionen:

  • Jemand sagt aktiv Nein zu Organspende.
  • Jemand hat keinen Organspendeausweis.
Photo by NordWood Themes on Unsplash

Macht es einen Unterschied? Irgendwie schon. Und gleichzeitig nein. Das Ergebnis ist das gleiche. In Deutschland werden Organe, wenn man nicht explizit ja zur Organspende sagt, nicht „verwertet“. Ländervergleiche zeigen: Ändert man diese „Default-Option“ auf „Organe werden gespendet“ steigert die Spenderquote um das Zwei- bis Vierfache.

Bekannt ist der Effekt auch bei der Geldanlage. Statt zu investieren, liegt Geld ungenutzt auf vielen Privat-Konten. Aktienmärkte erscheinen unkalkulierbar, auch wenn man welche gekauft hat, ignoriert man die Entwicklung des Unternehmens, man hat ja sowieso noch Zeit und man könnte ja etwas falsch machen. (Hier hat die SZ ein paar Zeilen dazu). Nicht zu handeln heißt, das Vermögen arbeitet nicht für Sie.

Auch das Vorschlagwesen in Organisation ist betroffen: Die geniale Idee ploppt auf, das neue Projekt entsteht, es wird begeistert ausgemalt, konzipiert und ausgefeilt – nur um dann auf Nimmerwiedersehen in der Schublade zu landen. (Und ja: das demotiviert).

Und warum ist das so?

Eine Theorie postuliert, dass wir schlicht die Folgen unserer Handlungen zu wenig beachten. Statt auf das Ergebnis oder mögliche Folgen zu schauen, bleiben wir im Status Quo verhaftet (was auch wieder ein ganz eigener Bias ist 😉). Oder wir beachten zumindest nur kurzfristige Aufwände und Belohnungen. Sie erinnern sich vielleicht an den Marshmallow-Effekt und die Langzeitwirkung von Belohnungsaufschub im Nugget Utopie schlägt Verzicht.

Auch gilt: Sowohl physisch als auch psychisch sind wir erstmal träge. Wenn das (kurz-mittel-längerfristig) Ziel nicht attraktiv oder abschreckend genug ist, tut sich nichts. Der Anschub den es braucht bis etwas in Bewegung kommt, wird bei Change Projekten aller Art in der Regel unterschätzt.

Jedem ist klar, dass der Überbringer schlechter Nachrichten nicht die Ursache selbiger ist. Und dennoch ist so ein Bote immer in Gefahr. Wie geht es der „kritischen Stimme“ in Ihrem Team?

Auch das Thema Verantwortung ist für das Thema relevant.

Wenn du nicht Teil der Lösung bist, sei Teil des Problems.

Es ist einfacher jemanden die Verantwortung zuzuschieben, der aktiv gewesen ist, als jemandem, der nicht mal anwesend ist. Hier spielt die Attribution (Sie erinnern sich: Der ist so oder ist das so?) eine wichtige Rolle.

Sie kennen sicher auch den Begriff „Beamtenpoker“: wer sich zuerst bewegt, verliert. Auch die Frage, wer den Verursacher ist oder gegebenenfalls Schuld hat, ist eine Erklärung dafür, wieso wir „lieber mal abwarten“. In unserer Rechtsprechung ist die Unterlassung in der Regel günstiger bewertet als eine aktive Tat.

Auch eine Erklärung ist der Versuch, Reue zu vermeiden. Fast die richtige Entscheidung getroffen zu haben, ist so eine der Ursachen für besonders unangenehme Gefühle.

Und welche Folgen hat das?

Offensichtlich führt Nichts zu tun zu verpassten Gelegenheiten und damit Opportunitätskosten.

Und auch, dass sich die Lage verschlimmert, ist eine Möglichkeit. Merken wir gerade beim Klima.

Es vergiftet auch die (Arbeits-)Umgebungen. Wird fehlendes Engagement, illegale Aktivitäten oder Arbeitsverweigerung einfach akzeptiert, ist sie legitimiert. Nehmen Sie die (hypothetische) Kollegin, die durchgehend neue Stellen sucht, oder den (frei erfundenen) Kollegen, der im Meeting Computerspiele zockt.

Selbes gilt für Feedback- und Fehler-Kultur. Menschen erleben oft genug, dass man zwar Dinge ansprechen kann, aber Folgen ausbleiben. Im besten Fall weder Verbesserung noch Verschlechterung, im schlechtesten Fall wird Engagement sogar abgestraft. Als Folge bleibt Rückmeldung komplett aus und das Schiff fährt gegen den Eisberg.

Interessant ist das Thema in der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Eine Erhebung dazu ist dank Arbeitsschutzgesetz seit 2015 durchzuführen. Viele haben das noch immer nicht getan: und dieses Nicht-Handeln ist kritisch. Durch die Fürsorgepflicht der Führungskraft ist diese persönlich haftbar, sollten Schäden entstehen und nicht proaktiv gehandelt worden sein.

Auch der Bystander-Effekt kann zu einem gewissen Teil auf diese Weise erklärt werden. Passiert ein Unglück, gibt es den paradoxen Effekt, dass zwar viele Leute zusehen, jedoch kaum jemand hilft. Man könnte ja etwas falsch machen, sich selbst in Gefahr bringen und so weiter. Es entsteht eine Norm, erstmal nicht zu handeln.

Warum das wichtig ist

Bei allen Aufforderungen „einfach mal zu tun“ ist „lassen“ durchaus eine wichtige Option: nur sollten wir uns klar sein, dass wir eher zu Stillstand als Aufbruch neigen.

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Als CBO nutzen Sie dieses Wissen und setzen es zum Beispiel wie folgt ein:

Defaulting ist eine Form von „nudging“ – also kleinen Manipulationen um Entscheidungen zu beeinflussen. Hierbei geht es um die Standardeinstellung. Wir nutzen die 'Unlust' aktiv zu werden.
Beispiel: Lange Zeit war es auf Websites üblich erstmal alles mizutracken. Und immernoch bieten Websites den verführerischen Click auf „Alles akzeptieren“ an. Denn: wenn man nichts umstellt, wird das schon passen.
Der Vorteil: Je nachdem wie Sie Ihre Default- oder Standardoption setzen, so werden die meisten Menschen auch agieren.

Konsent statt Konsens: Wenn bei einer Entscheidung alle Betroffenen gehört werden landet man schnell in einer endlosen Diskussion mit vielen Argumenten und Meldungen und leider auch wenig Aktivität. Gut ist es alle einzubeziehen und Kompromisse zu finden. Besser ist die Konsent Methode (oder eine ihrer Varianten: Safe Enough To Try oder Disagree and Commit).
Der Grundgedanke: ein neuer Vorschlag ist erstmal angenommen und wird ausprobiert solange es keinen schwerwiegenden Einwand gibt. Und schwer meint etwas wie explodierende Kosten oder Schäden an Personen.
Der Vorteil: alle Einwände werden gehört, jeder kommt zu Wort und es lassen sich neue Ideen ausprobieren ohne vorab verwässert zu werden.

Die Positive Konnotation ist eine Coaching-Methode, die insbesondere dann angebracht ist, wenn einer eigentlich ganz klaren Entscheidung kein voller Tatendrang folgt. Es wird eine vier Felder Tafel gebaut: die Spalten stehen dafür etwas zu tun / zu verändern und eben nichts zu tun. Die Zeilen stehen für das Gute daran, bzw. das Schlechte daran.
Der Grundgedanke: Alles hat zwei Seiten - gute und schlechte. Manchmal sind wir Blind für einen der Aspekte zum Beispiel die Nachteile des Nichts-Tuns. Mit der Systematik werden relevante Aspekte sichtbar gemacht, die bisher nicht bewusst waren. Zum Beispiel Opportunitätskosten oder auch versteckte Sorgen.

Unterm Strich

Karneval, Fasching und Co. haben eine wichtige Funktion: negative Gefühle, Missstände und Fehlverhalten kann angeprangert werden, neues ausprobiert werden ohne direkt negative Konsequenzen von „Oben“ fürchten zu müssen. Es ist ein Ausbruch aus der Unterlassung. Der Humor (und Alkohol) macht es leicht: Es darf sein, darf ausgesprochen werden und ist so ein Ventil für die negativen Gefühle. Katharsis nennt man das.

Nur darf man nie vergessen, dass auch im Scherz ein Fünkchen Wahrheit mitschwingt. Es ist eine jährliche Chance für Menschen in Verantwortung, zu hören, was angepackt werden muss. Denn wenn nichts passiert, wird es nicht besser.

Apropos: Haben Sie einen Organspendeausweis? Die sind prima: Man kann angeben, wie eben mit Ihrem Körper umgegangen werden soll. Egal ob Sie Organe spenden wollen oder nicht.

Wir freuen uns, dass Sie den CBO Nugget lesen. Wenn er Ihnen gefallen hat, teilen Sie Ihn! Und wenn nicht, freuen wir uns über Ihr Feedback!


Chief Behavioral Officer gesucht

Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?

Wir sehen uns kommenden Dienstag.

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Amadeus Pachmann

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